Hákons Hütte

Der Schnee um die zwei kämpfenden Männer herum war übersät mit Blutspritzern. Es sah so aus, als wäre dies ein schonungsloser Zweikampf auf Leben und Tod, denn keiner der beiden schien Gnade walten zu lassen. Sie kämpften erbittert mit bloßen Händen, traten und schlugen sich, wo immer sie auch trafen.

Beide waren blutverschmiert. Der eine blutete aus einer Wunde auf der Stirn, der andere aus der Nase. Trotz der Kälte waren sie schweißgebadet. Man hörte nur das angestrengte Atmen der Männer und die Schläge, wenn sie ihren Gegner trafen. Ansonsten war es still. Der Schnee schluckte alle anderen Geräusche.

Soeben hatte einer der beiden einen heftigen Hieb in die Magengrube einstecken müssen und ging langsam in die Knie. Sein Kontrahent hielt inne und beobachtete, wie sein Gegenüber sich mit den Händen abstützte und nach Luft rang.

»Du kämpfst immer noch wie ein Mädchen!«, keuchte der stehende Mann und ging nun ebenfalls in die Knie. Er atmete schwer, schaute in den Himmel und wischte sich mit einer Hand über die blutende Nase.

»Und du wie ein Bauerntölpel, Hákon Ulfurinn!«, zischte der Mann, der jetzt allem Anschein nach besiegt war.

»Immerhin hat der Bauer gewonnen, oder irre ich mich?«, schnaufte der, der soeben Hákon genannt wurde. Sein Gegenüber schwieg.

Hákon griff mit seinen Händen in den Schnee und rieb sich diesen über das blutverschmierte Gesicht. Das tat er mehrmals. Danach sah er wieder halbwegs ansehnlich aus. Sein dunkelblondes Haar klebte ihm auf der Stirn und hing in nassen Strähnen bis auf seine Schultern herab. Er schwitzte stark, da der Kampf lange angedauert hatte. Jetzt ließ er sich entkräftet rücklings in den Schnee fallen und versuchte, ruhiger zu atmen. Seine Brust schmerzte. Sein Gegner hatte ihn dort einige Male ziemlich hart getroffen. Es schien ihm, als spürte er jedes seiner fünfundvierzig Lebensjahre einzeln in seinen Knochen.

»Du bist und bleibst ein Bauerntrampel«, ächzte der Mann ihm gegenüber, der immer noch im Schnee hockte. Hákon lachte kurz auf. Es amüsierte ihn offensichtlich, so genannt zu werden.

»Aus dir spricht nur der Neid, Eldehar!«, kicherte er albern.

»Neidisch? Auf dich? Davor mögen alle Götter mich bewahren!«, japste der andere und richtete seinen Oberkörper langsam auf. Er hielt sich die rechte Seite. Hákon hatte ihm einen heftigen Leberhaken verpasst.

Eldehar war nicht so muskulös wie Hákon und hatte dunkles Haar, das ihm ebenfalls bis auf die Schultern reichte. Er schien etwas jünger zu sein. Seine Augen waren braun, wie auch die von Hákon.

Beide Männer trugen dunkle, einfache Hemden und lederne Hosen. Sie hatten ihre warmen Mäntel und die aus Leder gefertigten Harnische sowie all ihre Waffen abgelegt. Ihre Körper dampften in der Kälte.

Hákon stand schließlich auf und reichte Eldehar die Hand.

»Komm, oder hast du noch nicht genug?«, fragte er schelmisch grinsend den immer noch auf seinen Fersen hockenden Mann. Der sah auf und ergriff Hákons Hand, damit der ihm aufhelfen konnte. Er stand etwas unsicher, rieb sich die Hände und ging schwankend zu den Bündeln an Kleidern und Waffen, die etwas abseits im Schnee lagen. Während er seine Habseligkeiten heraussuchte, reichte er die anderen an Hákon weiter.

»Hast du es warm in deiner Hütte?«, fragte er dabei, ohne Hákon anzusehen.

»Natürlich«, antwortete der und warf sich den warmen Mantel über. Er nahm sein Schwert und sein Wurfbeil entgegen und deutete mit dem Kinn in die nördliche Richtung.

»Wenn du mitkommen willst«, sagte er dabei, »dann folge mir einfach. Oder bist du zu schwach, alter Freund?«

»Im Gegenteil«, lachte Eldehar. Hákon nickte und stapfte einfach voraus, ohne sich darum zu kümmern, ob Eldehar ihm folgte. Es hatte wieder angefangen zu schneien. In der Nacht war bereits mehr als eine Elle der weißen Pracht vom Himmel gefallen. Nun schneite es wieder dicht und heftig. In kürzester Zeit waren die Mäntel der Männer weiß bedeckt und sie hoben sich kaum mehr von ihrer Umgebung ab.

Ihre Schritte knirschten und der schmale Pfad, den einige Wildtiere hinterlassen hatten, bot gerade einem Mann ausreichend Platz. Eldehar folgte Hákon dichtauf. Neben diesem Pfad wären die Männer bestimmt knietief im Schnee versunken, was gewiss anstrengender gewesen wäre, als einen kleinen Umweg zu gehen. Der Wildtierpfad machte einen Bogen um Hákons Hütte, an dessen Ende sie nur noch wenige Meter durch den tiefen Schnee schreiten mussten, ehe sie die warme Behausung erreichten.

Die Kate lag weit oben in Norwegen. Sie war einfach aber sehr gemütlich und bot reichlich Platz für einen Mann. Es gab eine Schlafstätte, eine schlichte, aus Stein gemauerte Feuerstelle und einen grob gezimmerten Tisch. Fenster gab es nicht. Die Hütte hatte einige schmale, längliche Öffnungen, durch die gerade eine Hand hindurchpasste. Diese waren jetzt im Winter mit Stofffetzen und Fellresten verstopft, um die Kälte draußen zu halten. Auch die Wände waren zum großen Teil mit Fellen verkleidet, was einen gut dämmenden Effekt hatte.

Hákon warf seine Habseligkeiten achtlos auf die Pritsche. Er wies Eldehar an, es ihm gleich zu tun. Dann zog er einen Kessel an einem Haken hängend über das Feuer und warf noch einige Scheite Holz in die Glut.

»Gerade noch rechtzeitig, sonst wäre das Feuer erloschen«, sagte er dabei, denn ansonsten hätte er es wieder mühsam in Gang bringen müssen. Nichts war in diesem extrem kalten Winter wertvoller als die wärmenden Flammen und ein sicherer Schlafplatz.

Hákons Hütte lag sehr einsam. In der Nähe gab es einen Wald, der ihn mit Brennholz versorgte. Zudem konnte er dort hin und wieder Hasen und gelegentlich sogar Rehe erlegen. Aus verschiedenen Rinden und Kräutern, die es selbst jetzt noch unter der Schneedecke gab, buk er sich Brot und braute sein Bier. Zwei große Krüge davon kochte er nun auf. Das würde ihre durchgefrorenen Körper schnell wieder aufwärmen.

Eldehar saß inzwischen am Tisch und beobachtete jede Handbewegung Hákons. Sie kannten sich schon so viele Jahre. Ja, sie waren zusammen aufgewachsen. Eldehar, dem das Glück förmlich hinterherlief, und Hákon, der stets vom Pech verfolgt wurde. Er wurde als Kind von Söldnern bei einem ihrer Beutezüge verschleppt. Normalerweise brachten sie alle um, die sich ihnen entgegenstellten. Doch ihr Anführer hatte seinerzeit entschieden, dass sie einen Burschen bräuchten. So kam Hákon zu der Truppe brandschatzender und mordender Männer.

Dort erfuhr er keine Zuneigung. Wenn es etwas zu tun gab, warf man ihm die Arbeit vor die Füße. Ob das nun ein Eimer war, mit dem er Wasser holen sollte, oder ein Schwert, das zum Waffenschmied gebracht werden musste, um geschärft zu werden. Hákon hatte außerdem die ehrenvolle Aufgabe, die Latrinenlöcher abseits der Lager auszuheben und wieder zuzuschütten, wenn sie weiterzogen. Wenn er etwas versäumte, setzte es Prügel.

Als Eldehar damals ins Lager gebracht wurde, freundeten sich die beiden Jungen sofort an und schmiedeten bald darauf Pläne, wie sie Hákons Peiniger eines Tages bestrafen könnten. Im Hinblick auf die schwere, körperliche Arbeit, die Hákon schon als junger Bursche verrichten musste, entwickelte er Bärenkräfte, während Eldehar nach kurzer Zeit nur noch verhätschelt wurde. Grund hierfür war wohl sein erstaunliches Talent, denn er konnte die wunderbarsten Geschichten erzählen! So sorgte er allabendlich für Unterhaltung am Lagerfeuer, während Hákon abseits saß und immer wieder weggeschickt wurde, um Essen, Bier oder Holz heranzuschaffen.

Hákon und Eldehar wuchsen heran. Irgendwann fand man den Zeitpunkt für gekommen, dass Hákon sich den Jägern anschließen sollte. Dafür aber musste er eine Prüfung bestehen, um zu beweisen, dass er als ein solcher taugte. Er durfte sich selbst aussuchen, auf welches Tier er ansetzen wollte.

Es gab zu jener Zeit ein Wolfsrudel, das den Söldnern immer wieder Probleme bereitete. Der Leitwolf war der gefährlichste von dem Rudel, und genau auf den hatte Hákon es abgesehen.

Das Tier war schon älter, sein Fell mit vielen grauen Haaren durchzogen. Sein hohes Alter machte ihn zu einem gerissenen Beutejäger. Zudem erzählte man sich die wunderlichsten Legenden über Ulfinn, den alten Wolf. So gab es die Mär, dass derjenige, dem es gelingen würde, den Wolf zu bezwingen, unbedingt von dessen Herz essen sollte. Dann würde er unsterblich werden und besondere Kräfte erlangen.

Hákon ließ nicht erkennen, ob er diese Geschichte glaubte, als er sich auf die Jagd begab. Er wusste nicht einmal, ob er den Leitwolf jemals ohne sein Rudel antreffen würde …

… zur Leseprobe “Jamie Douglas”


Diese Leseprobe teilen: