Cottage am See in Schottland

Die Woche in den Highlands ließ mich alles vergessen, was zu Hause auf uns wartete. Die Zeit flog nur so dahin und ich genoss jede einzelne Stunde. Adrian und Jorge waren tatsächlich mehr in der Natur unterwegs, als dass sie sich in dem gemütlichen Ferienhaus aufhielten. Arjo und ich vertrödelten im wahrsten Sinne des Wortes die Tage und verschwendeten keinen Gedanken daran, was zu Hause sein würde und was uns nach unserer Rückkehr wohl erwartete. Es war ein berauschendes Gefühl, mit Arjo zusammen diese paar Tage in meinem geliebten Schottland zu verbringen und als der Tag der Heimreise näher rückte, empfand ich ein wenig Trauer darüber. Ich telefonierte mit Dörte, um zu erfahren, ob Ron inzwischen wieder geschnappt worden war. Sie verneinte:

»Soweit ich weiß, rennt der immer noch frei herum. Die Polizei glaubt, dass er sich doch mehr in der Hamburger Region aufhält als hier. Gesichtet wurde er jedenfalls noch nicht!«

»Und wie läuft das mit eurem Polizeischutz?«

»Och, ganz gut. Die sind alle durchweg nett und machen sich sogar nützlich auf dem Hof, um vor Langeweile nicht einzugehen! Wann kommt ihr denn zurück?«

»Wir werden morgen die Rückreise antreten. Allerdings müssen Mario und ich gleich darauf noch mal für drei bis vier Tage wegen meines neuen Buches weg«, log ich. Unsere Rückreise war tatsächlich für den morgigen Tag angesetzt, allerdings nur, weil wir die in zwei Tagen folgende Nacht Vollmond hatten und damit auch die Reise in die Vergangenheit stattfinden sollte. Das durfte Dörte natürlich so nicht wissen, darum bediente ich mich dieser Lüge.

»Ach so. Aber dann bleibt ihr Mal ein paar Tage, oder?«, fragte sie und ihre Stimme klang leicht enttäuscht.

»Auf jeden Fall. Ich möchte ja auch endlich im Garten was tun.«

Es war mir unwohl dabei, Dörte so anschwindeln zu müssen und ich war froh, als sie das Telefonat beendete. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, unsere Sachen zu packen. Ein wenig schmerzte mich der Gedanke, dieses Land wieder verlassen zu müssen. Noch unwohler fühlte ich mich bei der Vorstellung, was mich in zwei Tagen erwartete. Diese Ungewissheit und das gleichzeitige Wissen um die Anstrengung, die vor mir und Arjo lag, nahmen mir die Luft zum Atmen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass diese Aufgabe endlich hinter uns liegen würde.

Wir hatten einige Abende damit zugebracht, Jorges Pläne nochmals zu betrachten und alle möglichen und unmöglichen Szenarien durchzuspielen. Sollten wir gezwungen sein, die Plattform, auf der wir ankommen würden, zu verlassen, gab es für uns nur die Möglichkeit, durch das Tor, das hinter den mächtigen Eichen liegen sollte, zu entkommen. Danach müssten wir ein Zeittor finden, welches diesem Kloster am nächsten war.

Es lag in den Bergen, welche die Klosteranlage umgaben, und wäre sicherlich ohne Kompass und andere Hilfen schwer zu finden. Ich hoffte so sehr, dass wir diese Fluchtmöglichkeit nicht würden ergreifen müssen! Der Gedanke, dass wir uns dann ohne Ortskenntnis und Hilfe würden durchschlagen müssen, bereitete mir Magenschmerzen.

Die Rückreise nach Hellersmoor verlief ohne Probleme. Weder unser Cottage noch Adrians Villa schien unerwünschten Besuch gehabt zu haben. Das schürte in mir die Hoffnung, dass Ron sich tatsächlich nach Hamburg abgesetzt hatte, um dort im Getümmel der Großstadt unterzutauchen. Sicher würde man ihn über kurz oder lang zu fassen kriegen! Hier auf dem Land jedenfalls schien er sich nicht mehr aufzuhalten.

Ich besuchte Dörte auf dem Hof, während Arjo nochmals zu Adrian gegangen war. Ich hatte Dörte eine wundervolle Decke aus Schottland mitgebracht, die Uwe sofort konfiszierte und als sein Eigentum erklärte. Der Abschied von ihr und Uwe schien mir so endgültig, dass ich mit Tränen zu kämpfen hatte, als ich schließlich nach Hause zurückfuhr.

Heute Nacht wollten Arjo und ich den Sprung in die Vergangenheit wagen. Vierhundert Jahre zurück, und ich fühlte mich hundeelend.

Arjo war bereits zu Hause, als ich von meinem Besuch bei Kluges zurückkam. Ich schloss die Haustür auf und er kam mir aus dem Wohnzimmer entgegen. Er sah mich stumm an und spürte sofort, mit welchen Ängsten ich zu kämpfen hatte. Wortlos zog er mich in seine Arme und hielt mich fest. Ich stand wohl fünf Minuten an ihn gelehnt, ehe ich sprechen konnte:

»Ich habe Angst!«

»Ich spüre das, Liebes. Ich bitte dich, die Ruhe zu bewahren. Es wird sicher alles gutgehen!«, antwortete Arjo mir leise. »Versuche, dir die Bilder aus Schottland ins Gedächtnis zu rufen, wenn du Angst fühlst. Das wird dir sicher helfen.«

Ich atmete tief ein und aus. Der Zeiger der Uhr rückte unerbittlich weiter, und als Adrian vorfuhr, um uns zum Zeittor zu bringen, musste ich mit aller Kraft an die schönen und unbeschwerten Stunden in Schottland denken, um nicht einfach umzukippen.

Die Gewänder, die wir für diese Reise tragen wollten, nahmen wir mit. Wir wollten uns umkleiden, wenn wir das Zeittor erreicht hatten und nicht riskieren, dass wir in diesen Roben eventuell von jemandem gesehen werden würden. Es ging jedoch alles glatt und wir erreichten unbehelligt das Tor. Arjo zog das Cape, das Dorgha ihm von seinem Vater mitgebracht hatte, über und ich hüllte mich in das Gewand, das er in dem Koffer in seinem Zimmer aufbewahrt hatte. Es war viel zu lang und ich musste es mit Hilfe einer Kordel in der Taille etwas hochbinden, doch für diesen Zweck sollte es ausreichen. Wir gaben beide ein prunkvolles Bild ab. Arjos Gewand, das einst Ardwenid gehört hatte, passte wie maßgeschneidert. Er sah aus, wie ich mir immer einen der Erzengel vorgestellt hatte.

Beide entledigten wir uns unserer Schuhe. Es wäre sicher nicht förderlich gewesen, mit solchem modernen Schuhwerk an den Füßen in eine Zeit zu reisen, in denen noch kein Auge solcherlei erblickt hatte. Auch das Gummi, das Arjos üppiges Haar zusammenhielt, gab dieser nun an Adrian weiter. Jetzt sah er wirklich aus wie ein Wesen von einer anderen Welt!

Adrian nickte uns beiden zu und schluckte schwer. Das war das Zeichen für uns, uns auf unsere Startposition zu begeben, denn es war kurz vor Mitternacht.

Arjo nahm meine Hände in seine und mein Blick huschte noch mal zu Adrian, der inzwischen das Auto wendete und zurückfuhr. Er würde es erfahren, wenn er uns wieder hier abholen könnte. Wir hatten ausgemacht, dass er nicht warten sollte, um auf keinen Fall Verdacht zu erregen.

Schließlich fing ich Arjos Blick auf, atmete noch einmal tief ein und lies geschehen, was geschehen musste. Das Licht erfasste mich und trug mich weg. Ich unterstützte Arjo, so gut ich konnte, spürte aber ebenso, dass ich aufgrund meiner Aufregung nicht halb so viel Energie in unsere Reise einbringen konnte, wie ich …

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