Bühnenaufbau in Aberdeen

Früh morgens kroch Chester wie ein geprügelter Hund aus dem Fahrzeug, um sich auf die Suche nach einer Duschmöglichkeit zu machen.

»Die Duschen sind im Untergeschoss der Halle, so wie in London auch«, sagte einer der soeben eingetroffenen Roadies. »Du siehst echt beschissen aus, Kumpel«, lachte der Mann noch, als Chester sich bedankte und die Treppen nach unten stieg. »Hast wohl die Nacht durchgesoffen, was?«

Chester winkte nur ab. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Er erreichte einen langen Gang, von dem jeweils links und rechts etliche Türen abgingen. Chester drückte jede Klinke herunter, doch die meisten Türen waren abgeschlossen. Zwei von ihnen gaben den Blick in normale Umkleideräume frei, die mit langen Holzbänken ausgestattet waren. Die letzte Tür führte ihn endlich zu den Duschen.

Chester stand lange unter dem heißen Wasserstrahl. Währenddessen überlegte er, was er bezüglich dieser mysteriösen Erscheinung in der Nacht unternehmen wollte. Am besten war es aus seiner Sicht, mit Sue oder Uther darüber zu reden. Dann verwarf er den Gedanken an Uther wieder. Der konnte ihm nun garantiert nicht helfen. Und Sue? Immerhin war sie Polizistin. Aber würde sie ihm glauben? Wohl eher nicht. Bedingt durch ihren Beruf war sie sicher nur an Fakten und nicht an Geistergeschichten interessiert.

Gequält zog er sich an und ging dann den langen Flur zurück zur Treppe. Ehe er diese ganz hinaufgehen konnte, hörte er Ronan und Dana miteinander reden. Zunächst verstand er kaum ein Wort, doch je mehr Stufen er hochging, umso besser konnte er zuhören.

»Warum hast du nicht verhindert, dass sie den Song bringen?«, fauchte Ronan gerade Dana ziemlich heftig an.

»Nolan hat seinen eigenen Kopf, das weißt du doch!«, maulte Dana.

»Ich weiß, ja. Aber ihr habt doch einen Vertrag mit der Band, oder? Einen, der haarklein alles regelt, was sie zu tun und zu lassen haben!«

»Stimmt, aber genau das nicht. Da steht tatsächlich alles Mögliche drin. Jeder Furz, sogar auch, dass das Management die richtigen Namen der Jungs nicht herausgeben darf, Herrgott. Aber genau das mit diesem Song nicht!«

»Und du? Warum konntest du Nolan nicht umstimmen?«

»Wieso ausgerechnet ich?«

»Komm schon, Dana. Jeder hier weiß, dass ihr zwei ab und zu in der Kiste landet. Erzähl mir nicht, dass das nicht stimmt!«

»Wenn schon!« Jemand von den beiden trat mit dem Fuß nach einer lehren Dose, die danach über den Boden rollte. »Das ist nichts Ernstes. Ich habe keinerlei Einfluss auf ihn!«

»Er ist neuerdings ganz schön arrogant«, knurrte Ronan und Chester drückte sich gegen die Wand, da er Schritte von oben vernahm. »Du wirst sehen, der Erfolg steigt ihm in den Kopf!«

»Erfolg haben sie schon lange«, rief Dana. Sie klang entfernter als soeben noch. Also waren es ihre Schritte, die Chester hörte.

»Wohl wahr. Aber der neue Song geht doch ab wie eine Rakete und du kennst Nolan!«, vernahm Chester Ronan laut hinter Dana herrufend. Jetzt nahm Chester die letzten Stufen mit so viel Radau, wie er nur veranstalten konnte. Er ließ seine Sporttasche mit der Kleidung fallen, schimpfte laut, stapfte kräftig auf und erreichte die oberste Stufe. Ronan sah ihm entgegen.

»Morgen«, grüßte Chester ihn und rang sich ein Lächeln ab.

»Was war das heute Nacht?«, kam es statt eines Grußes aus Ronans Mund. Er lehnte an dem Treppengeländer zum Untergeschoss.

»Was?«, fragte Chester völlig überrumpelt. Woher wusste Ronan von letzter Nacht?

»Ferguson sagt, du würdest aussehen, als hättest du gesoffen. Außerdem gab es da wohl einen Zwischenfall mit der örtlichen Polizei?«, knurrte Ronan Chester an.

»Ach das? Ich habe schlecht geträumt. Und plötzlich standen die Beamten neben dem Truck«, erkläre Chester so gut gelaunt wie nur möglich.

»Also nicht getrunken?«, hakte Ronan nach.

»Keinen Tropfen«, schwor Chester.

»Und es war wirklich nichts?« Ronan stellte sich ihm in den Weg, sodass Chester nicht weitergehen konnte.

»Nein. Was fragst du so blöde?«

»Nichts«, grunzte Ronan und gab den Weg zum Teil frei. Chester spürte, dass er ihm nicht glaubte.

»Du weißt, dass Alkohol auf dem Truck ein No-Go ist!«, rief Ronan ihm noch hinterher, als Chester sich an ihm durchgezwängt hatte.

»Ich habe nicht getrunken, nur verdammt schlecht geschlafen«, motzte Chester im Weggehen. Er erreichte den Truck, nahm einen Wäschebeutel mit Schmutzwäsche und machte sich auf die Suche nach einem Waschsalon. Erfahrungsgemäß gab es solche immer in unmittelbarer Nähe zur Konzertarena. Chester wurde auch schnell fündig. Während er auf seine Wäsche wartete, nickte er im Sitzen immer wieder ein und holte so ein wenig Schlaf nach. Etwas besser gelaunt machte er sich wieder auf den Weg zurück zur Halle.

Es gab viel zu tun. Das komplette Equipment musste aufgebaut werden und zu den Roadies, die den Truck und die Band die ganze Zeit begleiteten, kamen noch einige aus der Stadt hinzu. Überall wuselte es. Es wurde geschraubt, gehämmert und geflucht. Chester machte sich, so gut er es vermochte, nützlich. Auch beim Verkabeln des Mischpultes half er Ronan wie gewohnt. Allerdings geschah das ohne viele Worte. Ronan arbeitete verbissen und vermied es, Chester anzusprechen. Es kamen nur knappe Befehle aus seinem Mund.

Als das Mischpult endlich fertig angeschlossen war, ging Chester den Männern zur Hand, die die Bühnendekoration und Beleuchtung aufbauten. Immer wieder suchten seine Augen nach diesem ominösen Bo. Bislang war er ihm jedoch nicht aufgefallen. Als er am Eingang zur Halle Sue stehen sah, machte sein Herz einen riesengroßen Sprung und er war geneigt, alles fallen zu lassen, was er gerade in den Händen hielt, und zu ihr zu laufen. Ihre Blicke trafen sich und Sue winkte verstohlen. Sie hatte ihn also bemerkt und das zauberte ein Lächeln auf Chesters Gesicht. Er war abgelenkt, was den Mann, dem er gerade zur Hand ging, einen herzhaften Fluch entlockte:

»He, Arschloch! Pass doch auf!«

Der Typ stand oben auf einer Leiter und zog ein schweres Kabel durch das Gestänge, an dem die Spotlights hingen. Er wurde Timber gerufen. Chester hatte keine Ahnung, warum. War wohl ein Spitzname, wie fast alle hier einen hatten. Timber war schlank, durchtrainiert, hatte rotes, wirres Haar und hellblaue Augen. Er war nicht hässlich, aber auch nicht gerade eine Schönheit. So fand Chester zumindest. Aber Timber hatte Kraft für zehn! Während Chester sich abmühte, das dicke Kabel langsam von der Rolle vor ihm zu ziehen und so nach oben zu reichen, wirkte es bei Timber, als würde er nur mit einem etwas dickeren Seil hantieren.

»Sorry«, rief Chester nach oben. Timber sah zum Halleneingang und grinste anzüglich:

»Ah, bist am Flirten, was?«

»Ich kenne die Lady, das ist alles«, antwortete Chester.

»Soso«, feixte Timber und fädelte das Kabel weiter in die Schienen ein. Chester hatte keine Lust, sich zu erklären. Darum schwieg er. Seine Blicke aber wanderten immer wieder zu Sue. Sie stand mit einem fremden Mann bei Dana und redete offenbar heftig auf sie ein. Um was es da wohl ging?

Chester war erleichtert, als Timber ihm zurief, dass er fertig wäre. Hastig sprang Chester von der Bühne und durchquerte die Halle. Den spöttischen Blick, den Timber ihm zuwarf, sah er nicht mehr. Aber er spürte ihn in seinem Rücken. Darum drehte er sich um und zeigte dem Rotschopf grinsend seinen Mittelfinger, was der mit einer wegwerfenden Handbewegung quittierte.

»Hey Sue«, lächelte er breit, als er sie, Dana und den Fremden erreicht hatte.

»Ches«, sagte Sue nur und nickte kurz mit dem Kopf. Chester fiel ihr besorgter Blick auf. Darum fragte er:

»Ist was?«

»Nein«, antwortete Dana hastig. »Nein, alles gut.« Weder sie noch Sue machten Anstalten, den Fremden und Chester miteinander bekannt zu machen. Daher hatte Chester das Gefühl, er wäre momentan wohl eher fehl am Platz und verabschiedete sich wieder. Sue lächelte kurz und sagte:

»Wir sehen uns!«

Das wertete Chester als Versprechen und er ging zurück zur Bühne. Auf halbem Weg allerdings hielt ihn jemand am Arm fest und als er sich umdrehte, stand plötzlich Sue hinter ihm. Sie trug heute wieder einen eleganten Hosenanzug.

»Ich wollte eben …«, stammelte sie, aber Chester wehrte ab …

»Schon gut«, sagte er sanft. »Verstehe ich doch. Ist wohl auch besser, oder?«

Sue nickte. Sie sah sich um und fragte:

»Bist du heute Abend hier? Beim Konzert …

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